Freitag, 5. August 2005
Patellaluxation
"Wenn ihr fertig seid, sagt bescheid, wir würden gerne auch ein paar Bälle spielen." sagt C. am Strand. Das Wetter ist prächtig, die Sonne scheint, ganz anders als an den zwei Tagen zuvor, an denen wir mehr oder weniger unterbrechungsfrei durch den Regen gefahren sind. Ich hätte ihn abhängen können auf dem Rad. Das Winter- und Frühjahrstraining hat sich doch ausgewirkt: Langsam fahren macht keinen Spass, schon gar nicht wenn es regnet.
Nun, ich habe mich zurückgenommen und das Rad sogar auf den letzten Kilometern in den Zug getragen. Er schwere Beine, schmerzendes Gesäß, kein Bock auf lange ampelfrei norddeutsche Strassen.
Auf der Insel angekommen, war ich dann wohl in Zugzwang. Am Strand fühlte ich förmlich, wie es ihm beim Anblick des Beachvolleyballcourts in den Fingern bzw. Armen juckte. Ein Sport, der mit Ballgefühl, unkontrollierbaren Bewegungen und viel Schnellkraft verbunden ist: Also nichts für mich. Trotzdem. Mit der Beseeltheit von zwei Strand-Bier am Frühabend und dem Pflichtgefühl, auch mal seinen Sport zu treiben und ihm seine Bewunderung als Oberligaspieler zukommen zu lassen, wagte ich mich aufs Spielfeld. Wann sonst hab ich in meinem alltäglichen Leben auch schon das Erlebnis, knapp mit Bikinioberteilen ausgestatteten jungen Damen, einen Ball zuzuwerfen?

Der letzte Unfall war knappe 10 Jahr her. Eine auf der Tanzfläche liegende Flasche war mir damals zum Verhängnis geworden. Kniescheibe zum zweiten Mal raus, eine weitere Operation und jahrelang viel Vorsicht und Angst bei allen Bewegungen. Mittlerweile hatte ich sie verloren.

Es waren keine fünf Minuten gespielt, ich stellte mich erwartungsgemäß ziemlich dumm an. Noch dümmer als die straffen Bikini-Mädels. Kaum einen nennenswerten Ballkontakt. Dann ich links hinten im heißen Sand, C. hatte die Angabe, spielte diese in Profimanier fair direkt auf mich. Einen kleinen Ausfallschritt mit dem linken Bein nach hinten. Gewichtverlagerung. Plötzlich kein Widerstand mehr. Für diesen Bruchteil einer Sekunden wußte ich, dass ich dieselbe falsche Bewegung wieder gemacht hatte. Mein Unterschenkel knickte in einem unnatürlichen Winkel vom Knie ab, meine Kniescheibe verließ mit einem lauten "Klack!" ihr vorgesehene Position, schabte dabei den seit Jahren gerade wieder vollständig gewordenen Gelenkknorpel ab, um im nächsten Moment, kurz bevor mein verschwitzer Körper den trockenen Sand berührte, mit einem weitern "Klack!" wieder an ihre ursprüngliche Stelle zurückzukehren.

Nur wenige Schmerzen. Auch wenig Überraschung. Fast selbstverständlich, dass diese eine Bewegung das wieder zum Vorschein gebracht hat, was ich seit Jahren erfolgreich versuchte zu ignorieren.

Gerade zu diesem Zeitpunkt. Gerade hatte ich mich aufgemacht. Gerade trieb ich seit eineinhalb Jahren wieder Sport, begann meinen Körper und seine wachsende Leistungsfähgkeit wieder zu lieben. Die Bewegung meines Körpers und die Anstreungung ließ mich in vielen Situationen und Dinge leichter vergessen. Schluss. Aus. Dickes Knie. Schmerzen. Aussicht auf noch eine Operation. Krankenhausaufenthalt plus Reha mindestens 7 Wochen. Autsch. Es tat nicht wirklich weh, Schmerzen bereitete der Rückfall in die alte Situation von vor 10 Jahren. Unbeweglichkeit, Vorsicht, Angst. Humpeln an Krücken, Treppen als Hindernis. Und ein Urlaub im Sack, auf den ich mich das ganze Frühjahr, während der ganzen Diplomarbeit, gefreut habe. Endlich eine Sache, die ich beherrschte. Auch wenn es nur Radfahren war. Monatelang putze und pflege ich das Teil, stattete es mit neuen tollen Teile aus und hatte nur diese Tour vor Augen.

Aus. Vorbei. Von einer Sekunden zur nächsten. Mit dem Zug nach Hause. In die Pedalen treten: unmöglich. Demütigend.

Mittlerweile ist über eine Woche vergangen. Der Doc sagt "Halb so schlimm!". Um die OP werde ich herumkommen. Mit viel Vorsicht. Radfahren geht, sagt er. Wenn ich Glück habe, in zwei Wochen wieder das Rad erklimmen. Arthrose hin oder her. Muskelaufbau zählt. Was bleibt, ist die Angst, egal wann, eine falsche Bewegung zu machen. Eine Bewegung, die wieder alles zunichte macht.

Ich mag jetzt meinen Körper nicht mehr. Bin in alte Muster zurückgefallen. Keine Bewegung, die selbe Menge an Schokolade, Kuchen und Bier. Dazwischen humpeld die nötigen Wege zurücklegen.

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